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Mechthild Curtius: Basaltstraße und anderswo



Basaltstraße und anderswo. Bockenheim-Bertolt erzählt.

Mechthild Curtius

Basalt wurde in Bockenheim bis 1900 abgebaut, dann das letzte Werk geschlossen. Die Kinder hatten damals statt mit feinem weißen Sand mit schwarzblauen Basaltschotter gespielt, von Kräutern bewachsen, konnten dort wie in Sandhaufen wühlen und in einem Werksgelände spielen, das tagelang still lag. Aus Bockenheim fuhren sie mit Fahrrädern raus in die Felder. Im Bruch sammeln die Jungens und Mädchen Steine nach Farben - gelbgrau - braungrau- schwarz- blauschwarz - und nach Formen und Größen. Die Kopfsteinpflaster lagern in kinderhandkleinen oder männerhandgroßen Würfeln, einen kleinen fassen Kinderhände und Hosentaschen, die davon zerreißen. Katzenköppe wurden noch im Knüllgebirge und Vogelsberg zugehauen. Manchmal nahm der Großvater das Kind Bertolt mit in seinem Automobil hinaus in den Knüll, durch die flachen Äcker der Wetterau, die Salzteiche umfuhren sie schnell, langsamer durch die goldgelben Kornfelder, lackgrünen Rüben, dazwischen bei Steinfurth im Sommer rote, weiße, rosa Zeilen der Rosen. Mohnblumen rot-orange, blau Kornblumen, weiß Hundskamillen umranden die Felder, Bauernkinder rupfen sie raus. Aus der flachen Börde nach Nordosthessen, bis zu den Steinbrüchen. >So sah das mal in Bockenheim aus.<
Die Dorfkinder rennen neben dem Auto her, bis es die rundlichen Hügel vom Knüllwald hoch tuckert und schnaubt. Der Großvater schnaubt lauter, schleppt den Enkel den höchsten Berg hoch, stellt ihn vor sich, guckt über seinen Kopf weg und redet. >Knüll kommt von hnollo, und das heißt Knolle, halbrunde Vulkankegel, erkaltete Lava ist Basalt geworden. >Wie Meringhe sieht das aus< dem gefräßigen Bertolt fällt der Vergleich mit seiner Lieblingssüßspeise ein, creme-gefüllte Brandteigkugeln, von schwarzer Schokolade übergossen. Der Großvater lacht endlich mal; seit >der Krise< hat er wenig zu lachen. Er erklärt dem Enkel die Geschichte der Geologie: >'Erst' vor dreißig bis fünfzig Millionen Jahren wurde die weite Ebene zum 'knuelligen' Bergland ummodelliert: durch vulkanische Kräfte. Knüll, Rhön und Westerwald sind größtes zusammenhängende Basaltgebiet Europas. Im mittleren Tertiär brach glühende Lava aus. Die Basaltschmelze ist in Gängen und Spalten aus der Tiefe emporgestiegen, hat sich unterirdisch ergossen oder Gangstöcke erzeugt.<
Basaltblumen ragen wagrecht aus Wänden neben senkrechten Säulen; in schönen Strukturen ist ausfließende Lava versteinert. Basaltsteine überall, im Knüll sind auch Rathäuser und Dorfschulen auf Sockeln aus schwarzen Basaltwürfeln gebaut. Bauernhöfe die Hauswände rauf, als Pflaster im Hof zwischen Ställen und Toren. Horizontal und vertikal, hoch und niedrig, Basalt überall. Die Mauern des Hofguts sind von Basaltbrocken durchmengt, Wege mit feinem Split belegt, Geleise zwischen Bahnschienen und Bohlen mit scharfkantigem Schotter verschüttet.
>Erstarrte Erguss-Steine glühender Lava zum Straßenbau, Gleisbau, zur Befestigung von Wasserstraßen und Talsperren. Heute mit diesen Maschinen, damals von Hand losgebrochen, in Stücke geschlagen, mit Pferde- und Ochsengespannen an die Straßen gefahren. Schwarzblauen Basalt haben die hessischen 'Steinrichter' zu Pflastersteinen zurechtgerichtet, in Zwölfstundenarbeit mit Hand und Hammer. ....Halt dir die Ohren zu. Sprengung.< Der Großvater reißt ihn beiseite, als sie im Basaltwerk stehen. Bertolt läuft auf die Staubwolke hin, hin, kennt die Arbeiter alle. Echter Basalt-Kopp, lächelt Großvater. Stillesitzen und Buchwissen ins Hirn füttern war Bertolts Wesensart fremd, dafür packt er an und macht mit. Maschinen rütteln und schütteln. Trecker tuckern. Hähne krähen, Schweine quieken. Es regnet, sie stellen sich unter. Großvater kann nicht nur reden von Geologie toter Steine.

Familiengeschichte vom nordhessischen Urahnen, dem wilden Bertolt-Paul,
Kriminalstory – ob die stimmt? Phantasie mit Schneegestöber:

Basalt und Geißblatt.
In den Knülldörfern Unteraula, Oberaula – wohnten früher die Steinrichter, heute die Basaltarbeiter neben den Bauern, jeder hat bisschen Landwirtschaft, paar Hektar Acker, Schweine und Federvieh im Garten ums kleine Fachwerkhaus. Päonien im Vorgarten, die Bögen der tränenden Herzen rot oder weiß, der Madonnenlilien weiße Blütentüten am halbmeterhohen Stiel, darunter Bartnelke, Salat, Mohrrüben, Kohl - und als Umrahmung Johannisbeer- und Stachelbeersträucher. Unter den Riesenlappen der Rhabarberblätter ist der Kompost mehr den Blicken als den Nasen verborgen. >Knöterich im Knüll hält die Hexen still.< Mädchenstimme singt, Hände pflücken Stachelbeeren. Bertolt sieht Elisa, ihm ist sie die Schöne, scheu, denen im Knüll ist sie zu dürre, spillerig, kein rechtes Bauernmädel, keine kernige Schafferin. Dem Verlobten, dem Henrich-Bauer, zu grüblerisch, zu zart. Bei den Stammtisch-Sauereien windet sie sich, falls sie begreift, ahnt eher Ungutes, wenn alle so schmierig feixen. Bertolt ist polternd und laut, niemals gemein, sie fühlt sich geborgen, sein sorgloser Frohgeist zum Ausgleich der Gemüter gerade recht, sie atmet durch, lebt dann auf. Wo Angst fortzieht, Schemen verblassen, kann Zuneigung einziehen. Stille Wasser, nicht nur aus Erdinneren können Untiefen aufbrechen. Leidenschaft aus der Schüchternen ausbrechen. Wochen lang Glück, monatelang Ekstase der Liebe, das mag er, wird still an Sommerabenden in ihrem Versteck bei der Geißblatthecke. Kann doch laut poltern und tosen, toben. Als sich Henrich, Platzhirsch im Dorf, der immer und überall der Erste sein muss, dem sie immer zu lahm war, zu zahm war, kein deftiges Weibsbild, auf seine älteren Rechte auf Elisa besinnt, seinen Besitzerstolz zur himmel-hohen Liebe auftürmt, verwechselt er Jähzorn mit Leidenschaft, seit der Bertolt mit ihr herumläuft, noch dazu der vom Schloss. Henrich, der Hirsch, lauert dem paar Tag und Nacht und überall auf, verfolgt den Rivalen in allen Kneipen, spottend und prügelnd. Elisa zieht sich zurück. Traut sich nur noch, aus dem Fenster zu sehen, wenn sie Getöse hört. Eines Tages ist der Bertolt verschwunden. Hohn und Spott, dem warst du auch nicht gut genug. Ihren zweiten Mai feiert sie allein. Wie früher geht sie durch das Hammerbachtal zwischen den Knüll-Kegeln bis zur >ihrer< Geißblatthecke am Waldrand. Mailuft, rosa Ähren des Wiesenknöterich, Fasern im hellgrünen Radmantel Frauenmantels, lila Blüten des Knabenkrauts zwischen gefleckten Blättern. Jelängerjeliebers schwüler Honigduft in Abendluft. Herbst. Rote Geißblatt-Beeren stinken giftig wie die Fliegenpilze darunter. Wittert. Waldboden duftet modrig. Blätter, Kompost und Moos, noch nie waren die Fliegenpilze so groß und blutrot. Wühlt mit den Fingern das Laub beiseite, Verwesungsgeruch. Nicht nur vom Waldboden.

Lange ist das her. Aus. Vorbei. Bockenheim-Bertolts erste Geschichte.
Zur Zeit ist er fort. Wird euch von seinen Reisen erzählen.

Basaltstraße. Statt Kaffee eine Art Zuspruch am Morgen: Er sucht in staubigen Büchern, in einer Staubwolke stehend, fängt er laut zu lesen an, sie hustet, hört stauend: nicht Bibel, sondern >Minima Moralia<; doch zelebriert er die Lesung wie eine heilige Messe, sein Professor, der gedrungene Rundkopf namens T. W. A., ist sein Gott. Das hat sie nicht lange aushalten können, gelacht. Weil er so fuchsteufelswild wurde, ist sie schnell die Treppe runtergesprungen, hat in der Weingartenstraße Freunde getroffen und ist die Leipziger runter in die Gräfstraße gerannt. Seminar. Höchste Zeit. Nach der Vorlesung gehen sie alle immer irgendwo hin.
Oft heißt es: "In die Adalbert-Straße." Gemeint ist die alte Fabrik, im Hinterhof hinter zerfallenden Wohnhäusern, irgendwo hinter der heutigen Einkaufs-Galerie. Es war im weiten Raum duster, Krempel aus Büros und Werkräumen stand und lag herum, Haufen von rostigen Metallteilen, moderige Stoffballen, eigentlich schöne Muster, als sie einen mit zwei spitzen Fingern anhob, kalt war es, dreckig, es stank nach allem Möglichen, manche Räume mit Resten brauchbarer Waschbecken und Water-Closets - Aufschrift Villroy & Boch - mussten sie benutzen, Reihen offener Türen mit zerbrochenen Toilettenschüsseln, an Kacheln Reste von Jugendstilschlieren und gleich nebenan Schwänze und Sprüche auf entenscheißgrünen Wänden, Salpeterkristalle und schwarzer Schimmel in Ecken, graue Seifenreste mit Rissen an Eisenbecken neben diesen steifgewordenen Grubenhandtüchern an Holzstangen, die nicht einmal mehr säuerlich rochen. Elisa kennt sie aus ihrer Werkschülerzeit bei Dr. Oetkers Puddingpresse, Rawes Wäschefabrik und Gundlachs Kalender-Fabrik, in den Waschräumen lagen die Arbeiterinnen und rauchten, lasen sich die Bildzeitung vor. Wunderpille in Amerika, das wäre zu schön, ohne Angst zu lieben. Wiedergesehen. Er steht im Halbdunkel und starrt reglos. Bernsteinbraune Augen sind durchsichtig - hinein ins Hirn, Illusion. Leidenschaftlich verliebt, damals, er selbst sei am meisten verwundert gewesen. Sie auch über sich, sagt sie erst, als die Wiederholung lau war, überwartet, von zwischengelagerten Eindrücken getötet. War es Wut, Gewissen, erotische Leidenschaft war in Raserei umgeschlagen, wilde Bewegung befreit, Angriffslust oder Schmerz: Elisa greift einen von den vielen aufgestapelten Caféhausstühlen und rennt auf die Tanzfläche zu, tanzt als einzige, bis der schöne dunkelbraune Arzt aus Martinique sie in Schlangenbewegungen einrollt, Musik wilder, lauter:
>White man – stiff Ass, < lacht er, > not you, pas vous, quel miracle, fille allemande avec du tempérament.< Angela zieht den Herwig in eine dionysische Quadrille, irgendwelche Tiger müssen die Tanzenden geweckt haben, die das Tanzen als bürgerlich ablehnen, packen nach und nach alle Stühle, werfen sie gegeneinander, sie zerknacken auf der Tanzfläche, die eigentlich ein schartiger Steinboden ist. Einige greifen die Stapel von herumliegenden Diskus-Zeitungen, leere Kartons, Dieter und Reiner mit e, versuchen ihr Produkt zu retten, die wilden Tänzerinnen strecken die Arme aus, tanzt doch mit, die Studenten-Redakteure ziehen sich hinter die Glasscheibe zurück ....


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